Freunde der Sammlungen Reinhart, Briner und Kern
Interview mit Jürg Spiller

Was ist deine erste Erinnerung an Kunst? 

Mit meinen Eltern besuchte ich jeweils die Dezemberausstellung der Künstlergruppe Winterthur im Kunstmuseum, wie es damals hiess. Ich erinnere mich gut an die Bilder von Geo Bretscher, Rudolf Zender, Henri Schmid, Hans Affeltranger, Hans Ruedi Sieber, Eugen Eichenberger, Heinz Keller etc. Wie in vielen Stuben in Winterthur hingen bei uns Lithographien einiger dieser Winterthurer Künstler. Zwei dieser Lithographien, nämlich von Henri Schmid und Hans Ruedi Sieber, befinden sich immer noch bei uns, dazu ein Holzschnitt von Heinz Keller.

Gibt es ein Erlebnis, dass dich als junger Mensch in Bezug auf die Kunst geprägt hat?

Ich mag mich an eine Ausstellung zum Futurismus im Kunstmuseum Winterthur erinnern, wahrscheinlich eine der ersten Ausstellungen ausserhalb derjenigen der Winterthurer Künstler, die ich besucht habe. Der Futurismus ist eine Kunstrichtung des beginnenden 20. Jahrhunderts. Ausgehend von italienischen Künstlern und Künstlerinnen (z.B. Boccioni), wandte sich diese Avantgardebewegung der Moderne zu. Ihr Ziel war, die Moderne mit ihren technologischen Revolutionen, ihrer sozialen Ordnung, der Veränderung des Städtebaus mithilfe einer neuen, Bewegung und Raum feiernden (Bild)-Sprache zu verherrlichen. Die Verbindung von Kunst und Technik hat mich offenbar damals beeindruckt.

Ein anderes Erlebnis, das indirekt mit Kunst zu tun hatte, waren die Jugendgottesdienste in der reformierten Kirche von Oberwinterthur. Da hatte man Zeit, die vermutlich um 1310/1320 entstandenen eindrücklichen Malereien zu betrachten. Nach der Reformation wurden sie übertüncht. Zu den schlimmsten Zerstörungen kam es aber erst im 19. Jahrhundert: 1835 wurden die bemalten Wände mit Pickeln bearbeitet, damit ein neuer Verputz besser haftete. Restaurierungsversuche im Jahr 1932 richteten weiteren grossen Schaden an. Die Bemalung des Chorgewölbes ging damals unwiederbringlich verloren, als während der Restaurierungsarbeiten der ganze Verputz herunterstürzte. Bei der Restaurierung 1976–1981 konnten die Gemälde teilweise restauriert bzw. gesichert werden. 

Gibt es eine Kunstrichtung, die dir näher liegt als andere und welche liegt dir gar nicht?

Ursprünglich haben mir vor allem die Werke des Impressionismus gefallen, wie wahrscheinlich vielen Menschen, die sich noch nie intensiv mit Kunst befasst haben. Näher gekommen bin ich dann der Kunst, als ich – als Gemeindepräsident von Seuzach – vom Kanton als kantonaler Vertreter in den Vorstand des Kunstvereins Winterthur delegiert bzw. dazu vom damaligen Präsidenten Urs Widmer überredet wurde. Dank den vielen Besuchen auch in anderen Museen und in privaten Sammlungen im In- und Ausland – unter kompetenter Leitung des damaligen Direktors Dieter Schwarz – lernte ich immer mehr die ganze Palette der Kunst kennen und schätzen, vor allem auch die Kunst der Moderne und der Gegenwart. Besonders angetan haben es mir die Arte Povera Italiens (z.B. Mario Merz, Luciano Fabro, Giuseppe Penone) und die amerikanische Gegenwartskunst (z.B. Robert Mangold, Ellsworth Kelly, Richard Tuttle, Richard Artschwager), und die Kunst von Gerhard Richter. 

Warum engagiert ihr euch, deine Frau Ruth und du, in einem Verein?

Da gibt es unterschiedliche Gründe. Einmal soll der Vereinszweck unseren Interessen entsprechen. Das kann Kunst sein, das kann auch ein gemeinnütziger Zweck sein, das kann ein Ort für eine Gemeinschaft sein. So engagieren wir uns in den verschiedenen Institutionen, die sich der Förderung der Kunst in der Region Winterthur widmen, aber auch in Institutionen, die sich der Unterstützung von Projekten in Ländern des Südens verschreiben (z.B. Stiftung Solidarität mit der Welt, Kiriat Yearim). Dazu kommen Vereine in unserer Region, vor allem auch in unserer Gemeinde, welche etwas für die Gemeinschaft tun (Kulturvereine, Sportvereine, Partei etc.). Früher haben wir auch sehr aktiv in solchen Vereinen mitgearbeitet, heute ist die Unterstützung mehr symbolisch. Ein wichtiger Punkt für das Engagement sind gemeinsame Aktivitäten und Begegnungen mit Gleichgesinnten in solchen Vereinen.

Was gefällt dir an unserem Verein besonders gut? 

Genau dieser letzte Punkt! Die Freunde der Sammlungen Reinhart, Briner und Kern organisieren interessante Kunstführungen, mit spannenden Referenten, aber auch Reisen. Sehr gut in Erinnerung geblieben ist uns die Reise nach München vor gut einem Jahr. Dort haben wir verschiedene Kunstmuseen besucht, aber auch eine Rahmenmanufaktur. Und dazwischen sind wir zusammengesessen und haben uns über die verschiedensten Dinge unterhalten und besser kennen gelernt. Ein wichtiger Aspekt unserer Mitgliedschaft bei den «Freunden» ist aber selbstverständlich die Überzeugung, dass die Freunde für die Kunstlandschaft in Winterthur eine zentrale Rolle spielen. Das wollen wir unterstützen.

Noch eine Bemerkung: Wir sind auch Mitglied des Kunstvereins Winterthur, des Galerievereins (Freunde des Kunstmuseums Winterthur) und des Vereins der Freunde der Villa Flora. Das dokumentiert unser Engagement für das Dreihaus-Konzept des Kunstvereins: Kunst Museum Winterthur | Reinhart am Stadtgarten, Beim Stadthaus und Villa Flora.

Sind Vereine antiquiert oder im Zuge der Digitalisierung und Anonymisierung mehr denn je ein wichtiger Ort für persönliche Begegnungen?

Sie sind keineswegs antiquiert, sie sind vielmehr sehr modern. Wobei sie mit Bezug zur Digitalisierung ebenfalls à jour sein müssen. Gerade die Freunde der Sammlungen Reinhart, Briner und Kern bringen mit ihren Veranstaltungen Kunstinteressierte – und solche, die es werden könnten – zusammen. Machen Sie einen Versuch! Melden Sie sich bei einem Vereinsmitglied, z.B. bei Ruth oder mir, oder bei der Präsidentin Madeleine Ducret. 

Du warst lange Mitglied des Stiftungsrates der Stiftung Oskar Reinhart und des Vorstandes des Kunstvereins, zuletzt als dessen Präsident. Welche waren für dich die schönsten Momente in dieser Zeit?

Im Rückblick gibt es viele solche Momente. Ich war 18 Jahre Mitglied des Vorstandes des Kunstvereines, davon einige Jahre Quästor, Vizepräsident und schliesslich 7 Jahre Präsident. Sodann wurde ich vom Kunstverein in die Stiftungsräte der Stiftungen Oskar Reinhart und der Hahnloser-Jäggli Stiftung und in den Vorstand des Galerievereins delegiert. Am wichtigsten für mich war sicher, dass ich den Weg zum neuen Museumskonzept mit den drei Häusern von den ersten Ideen über den Kampf für den Erhalt der Villa Flora und zum Einbezug des «Reinhart am Stadtgarten» bis zur zusätzlichen Finanzierung durch Stadt und Kanton mitbegleiten durfte. Bereits früh in meiner Tätigkeit im Vorstand des Kunstvereins (ab 1998) entwickelte unser damaliger Direktor Dieter Schwarz die Idee, das Museum Oskar Reinhart am Stadtgarten zum Zentrum der Kunst, quasi zum Eintrittshaus, zu erweitern. Darauf aufbauend haben wir dann das Museumskonzept entwickelt, das alle drei heute unter dem Dach des Kunstvereins Winterthur vereinten Häuser zusammenbringen sollte. Es erfüllt mich mit besonderer Freude, dass dieses Konzept nun definitiv realisiert worden ist, inklusive erneuerter Villa Flora und umgebautem Erdgeschoss im «Reinhart am Stadtgarten».

Daneben gab es unzählige Momente, die ich in guter Erinnerung behalten habe. Die Begegnungen mit den sehr engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der drei Häuser, mit den Kolleginnen und Kollegen der verschiedenen Gremien und die Streitgespräche mit Politikerinnen und Politikern, die wir schliesslich für unsere Ideen begeistern konnten. Dann das 100-Jahr-Jubiläum des Kunstvereins in 2016. Die vielen Ausstellungen – z.B. Vallotton, Vuillard, Deacon, Richter, Baumeister, Penone, Fabro –, welche immer wieder auf grossen Zuspruch gestossen sind. Die Erwerbungen oder Schenkungen von Werken von Vuillard, Richter, Deacon, Hamilton, Artschwager etc., die uns dank privaten Spendern, Beiträgen von Stiftungen oder der öffentlichen Hand ermöglicht wurden. Die gemeinsamen Besuche von Sammlungen und Museen in der Schweiz und im Ausland. Die Auslandstourneen unserer Sammlungen, z.B. die Ausstellungen von Meisterwerken der Sammlung des Kunstvereins in Japan in den Jahren 2009/2010, die Ausstellungen der Werke der Hahnloser-Stiftung in Hamburg, Halle an der Saale etc. Und noch vieles mehr.

Welches ist Dein Lieblingsbild?

Mir gefallen viele Bilder. Beispielhaft möchte ich zwei aus dem «Reinhart am Stadtgarten» nennen. Einmal – wie könnte es anders sein – Friedrichs Kreidefelsen auf Rügen, ein Bild aus der Sammlung von Oskar Reinhart. Dieses Bild ist sinnbildlich für die Qualität der Sammlung und ein grosser Anziehungspunkt für Besucher aus dem In- und Ausland.

Und dann das Werk von Ellsworth Kelly, das nun im Treppenhaus des «Reinhart am Stadtgarten» hängt. Dieses Werk konnten wir während meiner Zeit im Vorstand des Kunstvereins erwerben. Mich verbinden zwei Aspekte besonders mit diesem Werk. Einmal ist es ein Beispiel für den Inhalt unseres Dreihaus-Konzeptes. Im Gegensatz zu früher können wir heute Werke je nach Schwergewicht der Ausstellungen in jedem der drei Häuser zeigen. Dieses Werk der amerikanischen Moderne wird nun im „Reinhart am Stadtgarten“ ausgestellt, einem Ort, an dem früher nur Werke aus der Sammlung von Oskar Reinhart hingen. Und zweitens hatte ich während meiner Zeit bei der damaligen Winterthur-Versicherungen eine Lithographie von Ellsworth Kelly in meinem Büro. Das kam über den Vater des Künstlers zur Winterthur, der seinerzeit Agent für die Winterthur in Amerika war.

Jürg Spiller vor Caspar David Friedrichs Kreidefelsen auf Rügen, 1818