Am Anfang war Dürer

Albrecht Dürer
Die apokalyptischen Reiter, aus Die Apokalypse des Johannes (Blatt 5), 1511
Holzschnitt, 39 × 28 cm
Kunstmuseum St. Gallen

1498 veröffentlichte Albrecht Dürer ein eigenhändig illustriertes Buch zur damals populären Apokalypse bzw. zur Offenbarung des Johannes. Das Werk umfasste neben dem Bibeltext auch vierzehn aufwändig gestaltete, grosse Holzschnitte. Aufgrund ihres enormen Formats und der herausragenden künstlerischen Technik stellten die Bilder den Text völlig in den Schatten und wurden zur eigentlichen Hauptaussage dieses ersten Künstlerbuchs der Geschichte. Damit steht das bahnbrechende Werk in vielerlei Hinsicht am Anfang – auch von unserer Ausstellung.

Albrecht Dürer
Die apokalyptischen Reiter, Doppelseite aus Die Apokalypse des Johannes, 1511
je 39 × 28 cm pro Blatt

Das berühmteste Bild aus Dürers Apokalypse (Deutsch: Offenbarung) stellt das fünfte Blatt der Folge, Die Apokalyptischen Reiter, dar. Dürer folgte mit seinen detailreichen Darstellungen sehr wörtlich dem Bibeltext und vereinte häufig gleich mehrere Textpassagen in einem Bild.

Im Evangelium wird berichtet, dass Johannes in einer Vision ein Buch mit sieben Siegeln gezeigt wird, das weder ein Mensch noch ein Engel, sondern nur das Lamm Gottes – symbolisch für Jesus Christus – öffnen kann. Beim Öffnen der ersten vier Siegel erscheint jeweils ein Pferd mit einem Reiter.

Der erste Reiter, der auf einem «weissen Pferd» sitzt und einen Bogen spannt, «zog aus, um zu siegen». Er steht daher für den Sieg, aber auch für Reinheit und Gerechtigkeit, und meist wird sein Aufbruch auch als Kriegsausbruch gedeutet, auf den in der Offenbarung mehrfach hingewiesen wird.

Ausschnitt aus Albrecht Dürer, Die apokalyptischen Reiter, 1511

Der zweite Reiter, das Schwert erhoben, stellt den Krieg selbst dar, denn er war «ermächtigt, der Erde den Frieden zu nehmen». Die dritte Figur hält eine Waage, die als Symbol für Teuerung und Knappheit steht, womit sie auch Hunger und Tod verkörpert. Ihnen folgt auf einem «fahlen Pferd» der Tod. Dürer wählte hier als Attribut nicht die sonst typische Sense, sondern zeigt ihn mit einer Heugabel. Mit dieser schaufelt er die Opfer der Katastrophe in den Rachen eines Monsters, wobei niemand verschont bleibt, auch nicht der hochrangige Bischof. So fegen die vier Reiter mit wuchtiger Gewalt und Rücksichtslosigkeit über das Volk hinweg.

Nach der ersten Publikation wurde Dürers Serie schnell zum Inbegriff der Apokalypse schlechthin. Sie machte den Künstler auf einen Schlag berühmt und wurde zum zeitlos gültigen Vorbild, dem sich Kunstschaffende kaum entziehen konnten. So haben seine Holzschnitte durch die Jahrhunderte eine ungeheure Wirkung ausgeübt. Noch im 16. Jahrhundert stellte der Italiener Giorgio Vasari, der als Vater der Kunstgeschichte gilt, fest, dass Dürer für viele Künstler der italienischen Renaissance «ein helles Licht gewesen ist, die sich der Überfülle seines Reichtums seiner schönen Phantasien und Erfindungen bedient haben». Auch in Deutschland wurde die Holzschnittfolge schnell rezipiert. Dürers Buch mag vielleicht auch Martin Luther, welcher dem Text der Apokalypse sonst sehr kritisch gegenüberstand, dazu veranlasst haben, sie von der Werkstatt Lucas Cranachs d. Ä. illustrieren zu lassen.

Werkstatt Lucas Cranach
Die Apokalyptischen Reiter, 1523
Holzschnitt, 25 × 17 cm, in Martin Luthers Bibelausgabe Newe Testament teutsch

Georg Lemberger nach Lucas Cranach
Die Apokalyptischen Reiter, 1524
Kolorierter Holzschnitt, 17.5 × 11.5 cm

Dürers bildgewaltige Umsetzung der Johannesapokalypse hat auch für die nachfolgenden Jahrhunderte Schule gemacht. So war sie auch Vorbild für zahlreiche spätere, mitunter wegweisende Arbeiten, wie jene von Jacques Callot und Goya, die ebenfalls in der Ausstellung zu sehen sind.

In den nachfolgenden Jahrhunderten sind zyklische Darstellungen der Apokalypse vor allem in Bibeleditionen zu finden, wobei nicht zuletzt die Reformation und Gegenreformation zu einem veränderten Umgang mit diesem Bildprogramm geführt haben. Ab dem späten 18. Jahrhundert lässt sich demgegenüber eine Verlagerung im Umgang mit biblischer Ikonographie beobachten, die mit einsetzenden gesellschaftlichen Prozessen der Säkularisierung verbunden ist. So zeugt zum Beispiel William Turners Der Tod auf dem fahlen Pferd von der zunehmenden Loslösung von der biblischen Ikonographie, indem er den vierten apokalyptischen Reiter, den Tod, erschöpft auf dem Rücken seiner Mähre liegen lässt.

Joseph Mallord William Turner
Death on a Pale Horse, um 1825/1830
Öl auf Leinwand, 59.7 × 75.6 cm
Tate Britain, London

Gerade das 19. Jahrhundert und insbesondere die Romantiker fanden grossen Gefallen am Text der Apokalypse. Auch wenn hier Dürers Holzschnitt nicht immer eindeutig als Vorlage ablesbar ist, so werden ihn doch die allermeisten der Kunstschaffenden gekannt haben. Sein Vorbild mag im wirkungsvollen Aufbau, dem wilden Getümmel und der dramatischen Umsetzung noch nachzuklingen.

Arnold Böcklin
Der Krieg, 1896
Öl auf Holz, 100 × 69.5 cm
Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Galerie Neue Meister

Im 20. Jahrhundert sind schliesslich vermehrt zeitgeschichtliche Interpretationen zu beobachten, welche Dürers Apokalypse-Zyklus insbesondere für die Zeit der Weltkriege zu einem bedeutenden Referenzpunkt machen. Die biblische Apokalypse wird hier zum Symbol für die unvergleichliche Zerstörung und das enorme Leid des Kriegs: An Dürers Bildsprache der Apokalyptischen Reiter angelehnt, stürzen nun Flugzeuge vom Himmel, moderne Waffen verwüsten galoppierend die Landschaft und Menschen finden sich in einem katastrophalen Chaos wieder, welches kaum dokumentarisch zu fassen ist.

Natalja Gontscharowa
Engel und Flugzeuge, aus Mystische Bilder des Krieges, 1914
Lithographie, 25.4 × 33 cm
© ProLitteris Zürich 2022

Bis in die Popkultur wird die Apokalypse zum Sinnbild des Kriegs und des sinnlosen Tötens. Berühmtes Beispiel dafür ist Francis Ford Coppolas Anti-Kriegsfilm Apocalypse Now, bei dem die Verbindung zwischen Krieg und Apokalypse bereits im Titel aufscheint.