Harun Farocki – Ernste Spiele
Der deutsche Experimentalfilmer Harun Farocki (1944–2014) hat sich über Jahrzehnte hinweg kritisch mit dem Krieg auseinandergesetzt. In einer seinen späten Arbeiten, der vierteiligen Serie Ernste Spiele, die von 2009 bis 2010 entstand und vollständig in der Ausstellung zu sehen ist, greift er das Thema abermals auf. Dabei thematisiert er, wie das Virtuelle, genauer die Welt der Videospiele und der Virtual Reality, Einzug in die moderne Kriegsführung hält. Dazu filmte er auf Stützpunkten des amerikanischen Militärs Soldaten bei der Ausbildung sowie Veteranen bei der Aufarbeitung des erlebten Krieges – Ernste Spiele deckt die grundlegenden Verbindungen zwischen Technologie und Gewalt auf.
In den späten 1960er Jahren begann Farocki mit seinen subversiven Filmen und Videos, in denen er eigenes Material mit Aufnahmen aus verschiedenen Quellen wie Massenmedien, Überwachungskameras und politischer Propaganda kombinierte. Seine von der Kritik hochgelobten Essayfilme, die sich häufig mit dem Zusammenhang von Krieg und Technologie befassen, untersuchen insbesondere auch die Produktion und Wahrnehmung von bewegten Bildern und deren grundlegende Auswirkungen auf die Gesellschaft.
1969 erschien sein Film Das nicht löschbare Feuer, der sich kritisch mit dem Vietnamkrieg und den dort eingesetzten Napalmbomben auseinandersetzte und dabei Fragen nach der Rolle der Bilder und ihrer Rezeption stellte.
In diesem Film sieht man Farocki, der fragt: «Wie können wir Ihnen [den Zuschauern] Napalm-Verletzungen zeigen? Sie werden zuerst die Augen vor den Bildern verschließen, dann vor den Erinnerungen, dann vor den Tatsachen und schließlich vor dem Zusammenhang.» Dann drückte er sich eine brennende Zigarette auf seinem Unterarm aus: «Eine Zigarette verbrennt mit etwa 400 Grad, Napalm verbrennt mit etwa 3000 Grad Hitze.» Weil das nicht gezeigt werden konnte, machte Farocki einen Film über die Produktion von Napalm.
Damit warf er ein Licht auf die moralischen blinden Flecken, die durch die industrielle Arbeitsteilung entstehen und verdeckt werden – diejenigen in der Chemie- und Maschinenproduktion ebenso wie diejenigen der Bildproduktion. Die Arbeit war ein engagierter Versuch, zu entflechten, was es heisst, Bilder zu lesen und zu dechiffrieren – und damit, was es bedeutet, Beobachter und Zuschauer zu sein.
Es scheint, als hätte das amerikanische Militär aus diesem Film gelernt: Denn seit dem zweiten Golfkrieg 1990/1991 werden vor allem Fernsehbilder streng kontrolliert. Statt realer, demoralisierender Kriegsbilder werden nur noch Bilder von Satelliten-, Nachtsicht- und Raketenkameras und eben Computeranimationen, die ohne wirkliche Bilder auskommen, ausgestrahlt. Auf diese Weise werden jedoch auch Tatsachen manipuliert und Zusammenhänge zerstückelt. Man kann sozusagen von einem militärischen «Iconic Turn» sprechen, von der Abwendung des weltweit sichtbaren Napalmkriegs zur unsichtbaren, computergesteuerten Zerstörung und Ausblendung der Wirklichkeit von heute.
In der fast 50 Jahre später entstandenen Arbeit Ernste Spiele hat sich der Abstand zu der Welt, aus der das Bild stammt, beträchtlich vergrössert – bis zu dem Punkt, dass es fast unmöglich ist, den realen Ort, der mit dem Bild assoziiert wird, festzulegen oder ihn sich überhaupt vorzustellen. Farocki zeigt uns, wie unsere kollektive Vorstellung vom Krieg durch Bilder des Kinos und der virtuellen Welt verändert wird.
Das Computer-Programm «Virtual Iraq», das von den Rekruten zum Training verwendet wird, unterscheidet sich kaum von einem Videospiel. In der Folge unterscheidet sich daher auch die Reaktion auf den Tod eines Soldaten kaum von einem Game Over in der virtuellen Welt. Die künstlichen Bilder erzeugen eine Distanz der Kämpfenden zur Realität, die schliesslich zu so bizarren und grausamen Szenen wie den verstörenden Fotos aus dem Gefangenenlager in Abu Ghraib führen. Eine Ent-Realisierung findet statt.
Dies wirft schliesslich die Frage auf, wie stark heute generell Erlebnisse und Erinnerungen durch Computerbilder und virtuelle Realitäten erzeugt und geprägt werden – und wie wenig durch traditionelle, analoge Bilder und Berichte. Doch Farocki wertet nicht, er zeigt nur auf und fordert ein kritisches Hinsehen – nicht nur auf den Krieg, sondern auf Bilder generell und letztlich auf die Wirklichkeit überhaupt.