Félix Vallotton – Vom äusseren und inneren Krieg
«Krieg, das ist ein rein innerliches Ereignis, wahrnehmbar im Innern; alles was im Aussen zu sehen ist, wie überwältigend immer oder entsetzlich es sein mag, es ist und bleibt Episode, Pitoreske [sic] oder Dokument.» Diese Worte stammen aus Félix Vallottons (1865–1925) Aufsatz Kunst und Krieg, den er 1917 veröffentlichte. Sie zeugen von der Unvorstellbarkeit, vom vermeintlichen Widerspruch zwischen den äusseren und inneren Spuren, die der Krieg hinterlässt.
Der Frage, wie der Krieg in Bilder zu fassen sei, widmete sich der schweizerisch-französische Maler während der Jahre des Ersten Weltkrieges mit ausgesprochener Intensität. Das erste grossformatige Gemälde, 1914, paysage de ruines et d’incendies, das in der Ausstellung zu sehen ist, entstand im Sommer 1915. Dazu schrieb er:
«Ich versuche, etwas zum Krieg zu machen, ohne mich genau festzulegen, etwas wie einen Alptraum des Krieges, aber ich habe Angst, in eine Art romantische Leichtigkeit umzukippen».
Dieses monumentale Kriegsbild hatte Vallotton aus seiner Fantasie geschaffen. Der Maler, der 1914 mit 49 Jahren zu alt war, um mobilisiert zu werden, bemühte sich darum, seinen Beitrag zu leisten. Seine apokalyptische Landschaft demonstriert das Monströse und Eindrückliche der Zerstörung in einer ganz neuen Auffassung, die das menschliche Elend nicht mehr bildnerisch ins Zentrum rückt. Denn er zeigt uns eine verwüstete und brennende Landschaft, die Ruine eines zerstörten Hofes, aus der schwarzer Rauch emporsteigt, während Scheinwerfer den Himmel absuchen.
«Es ist so, wie gross auch das Ausmass der Zerstörung sein mag – eben im Augenblick der auf den Einschlag folgt, fallen die getroffenen Objekte in eine neue Ordnung zurück.» Es sind die Spuren der Zerstörung, ihre Bilder, über welche Vallotton den Zugang zur malerischen Umsetzung des Krieges sucht, zu den ‹innerlichen Ereignissen›, welche die tatsächliche Kriegserfahrung darstellen.
Die Ruine stellt in der Kunst seit je her ein Vanitas-Symbol dar. Bei Vallotton wächst sie jedoch über das rein Vergängliche hinaus, indem er erkennt, dass es durch den Krieg zum Ereignis wird. Die Zerstörung wird auf diese Weise als Moment der Vergangenheit, als die «neue Ordnung» der Dinge, fassbar, wie hier im Dorf von Souain, welches im Zuge der Marne-Schlacht beinahe komplett zerstört worden war: «Ein grossartiges Beispiel bewusster Zerstörung […] die Ruine blutet seit dem Vorabend.»
Denn obschon er nicht als Soldat in den Krieg ziehen konnte, wurde er 1917 im Auftrag der französischen Regierung im Rahmen einer Propagandaaktion zusammen mit zwei anderen Künstlern an die Front entsandt. Dort studierten und dokumentierten sie zwei Wochen lang die verheerenden Auswirkungen auf die Bevölkerung und Landschaft. In kleinen Bleistiftskizzen hielt Vallotton das Gesehene fest. Nach seiner Rückkehr entstanden daraus nicht weniger als zwölf Gemälde.
Das grossformatige Verdun (1917) weist indes formale Ähnlichkeiten zu 1914, paysage de ruines et d’incendies auf. Auch hier ist eine verwüstete und brennende Landschaft zu sehen – die Zerstörung ist hier noch in vollem Gange – während besonders die Scheinwerfer eine beinahe schon abstrakte Parallele zwischen den beiden Werken herstellen. Tatsächlich wird dem Künstler aufgrund seiner Eindrücke des Krieges eine grössere Offenheit für die Abstraktion zugesprochen. Vallotton sucht in diesem Sinne die Unfassbarkeit des Krieges geometrisch zu fassen und die ‹innerlichen Ereignisse› als Bild auf die Fläche zu bringen.
Der Ausbruch des Krieges führte jedoch nicht nur dazu, neue Bildstrategien zu erproben, sondern auch zu einer Rückkehr zum Holzschnitt, einem Medium, mit welchem er seit 1901 nicht mehr gearbeitet hatte. So veröffentlichte er 1916 im Selbstverlag eine sechs-teilige Serie, Momentaufnahmen eines Konflikts, den er zu diesem Zeitpunkt nur aus der Presse, aus Wochenschauen und einigen Augenzeugenberichten kannte. C’est la Guerre! vermittelt auf bewundernswerte Weise Vallottons Wut und Revolte angesichts eines ungerechten und unerträglichen Ereignisses: «Dieser Krieg wird immer düsterer, und die schöne Gewissheit, die wir am Ende des Krieges sehen konnten, verblasst und verwandelt sich in ein schwaches, rauchiges und flackerndes Licht.» Nicht die Zerstörung der Landschaft, sondern das Leid, welches der Krieg verursacht, die tragischen Schicksale der Soldaten und der Bevölkerung sind hier Thema. Mit C’est la guerre! reiht auch Vallotton sich in eine druckgraphische Tradition ein, die vor ihm Künstler wie Francisco de Goya und Jacques Callot geprägt hatten.